Erinnerungen an unsere Schulzeit zum Jahrgangstreffen 1995

von Elfriede Haensel

 

Ich kann lange nicht so gut wie Goethe und Schiller dichten,

doch einiges möchte ich aus unserer Schulzeit berichten.

 

Im September 1941 war unser Schulanfang,

man führte uns ins Klassenzimmer, etwas war uns schon bang.

Stolz waren wir auf unseren „Papperdeckel-Schulranzen“,

an dem rechts Schwamm und Tafellappen tanzen.

Die Schultüte im Arm, gefüllt mit Bonbon und Lakritzen,

mussten wir artig in den Bänken sitzen.

 

Alle Mädchen trugen damals eine Schürze über dem Kleid

und Zöpfe mit Schleiern - bunt und breit.

Mit langen Röcken mussten wir die Knie bedecken,

wollten wir nicht den Groll der Schwester Oberin erwecken.

So haben wir uns jeden Morgen auf den Weg gemacht,

vorher gingen wir zur Schulmesse um Viertelacht.

 

Am 2. Tag begann die mühselige Lernerei,

wir malten „Heigelstecken“ Reih um Reih.

Zum kleinen „n“ mussten zwei beisammensteh’n,

sie wurden krumm und nicht recht schön.

War das „0“ nicht rund oder hatte man sich verschrieben,

wurde der Finger nass gemacht und alles ausgerieben.

 

Bis 10 war das Rechnen nicht so schwer,

da nahmen wir sämtliche Finger her.

Wollte die Schwester wissen, wie viel ist 17 + 3,

da hatte jedes Kind seine Zähltafel dabei.

Hundert Kugeln waren zum Schieben da,

wir lernten ziemlich praxisnah.

Für uns gab‘s noch kein Minus und Plus

und lauter so modernen Stuss.

 

Weil in der Kriegszeit das Papier rationiert,

haben wir zwei Jahre nur auf die Schiefertafel geschmiert.

Nur meine Mutter kam manchmal ins Schwitzen,

sie musste jeden Tag 8 bis10 Griffel spitzen.

Diese Schreibgeräte waren schon ein Problem,

fiel ein Griffel zu Boden, hat es zwei Hälften geb‘m.

Und tat ich mal auf dem Heimweg raufen,

musste mir meine Mutter eine neue Tafel kaufen.

 

Als die 2. Klasse vorbei, konnten wir halbwegs lesen und schreiben,

wir waren alle recht klug, kein Mädchen tat sitzen bleiben.

 

In der 3. Klasse gab die Schwester Regis Unterricht,

sie hielt oft ein strenges Strafgericht.

Oben auf dem Schrank lag der „Tatzenstecken“,

wehe, man tat ihren Zorn erwecken.
Da hat sie ihn benutzt ungeniert

und die Übeltäterin vor der ganzen Klasse blamiert.

 

Zu Ihren Lieblingskindern (Gschäfterl) hab ich nicht gehört,

das hat mich manchmal schon gestört.

Doch habe ich mich zuhause einmal beklagt:

„Du wirst scho niert grouht hom“ wurde gesagt.

Da ist mir nichts anderes übrig geblieben.

„Ich darf in der Schule nicht schwätzen“, hab’ ich 50-mal geschrieben.

Nur wer tollkühn war, konnte es wagen,

im Winter unterm Rock eine lange Hose zu tragen,

„So etwas tut ein anständiges Mädchen nicht“,

verkündet die Schwester mit strengem Gesicht.

 

Auch das Schreiben mit Federhalter und Tinte wurde probiert,

dabei hatte ich immer sämtliche Finger verschmiert.

Schönschreiben war keine Stärke von mir,

ehe ich mich versah, war ein Klecks auf dem Papier.

Auch an den ersten Aufsatz mussten wir uns wagen,

das Einmaleins vor- und rückwärts aufsagen.

 

Zur 1. Hl. Kommunion durften wir auch bald geh'n

und lernten die Gebote von eins bis zehn.

Den Katechismus brauchten wir fast jeden Tag,

da begann für mich eine arge Plag.

Sämtliche Schulbücher gab‘s beim „Bouchbinda“ zu kaufen,

nur kein Religionsbuch - es war zum Haareraufen.

Solche Bücher wurden in der Hitlerzeit nicht gedruckt,

das Volk hat auch nicht aufgemuckt!

 

Darum besaß ich kein solches Exemplar,

was in der Schule so schlimm nicht war.

Da konnte ich mit bei der Nachbarin lesen,

aber beim Lernen zuhause ist es eine Katastrophe gewesen.

War ich mal mit der besten Freundin verkracht,

was hat sie dann aus Rache gemacht?

Mir den Katechismus nicht geliehen, welch raue Sitten,

in meiner Not musste ich denn um schönes Wetter bitten.

 

Die Garderobe zur Kommunion war für meine Mutter ein Riesenproblem,

das Kind braucht etwas zum Anziehen - es hout nix geb‘m!

Trotz Punkte und Bezugschein war es schwer,

wo bringt man weißen Stoff und weiße Schuhe her?

Nur wer zum Tauschen Butter oder Eier besessen,

konnte solche Sorgen schnell vergessen.

Die liturgischen Gewänder, die heute das Pfarramt verleiht,

wie hilfreich wären sie gewesen in der schlechten Zeit.

 

Auf Befehl von oben mussten die Schulschwestern 1944 abdanken.

Zwischen Mädchen und Buben fielen die sittlichen Schranken.

So zogen wir in die Knabenschule mit unseren Siebensachen,

dort regierte die „Mene“ - wir hatten nichts zu lachen.

Doch bevor wir das 4. Schuljahr anfingen,

mussten wir ein Hoch auf unseren Führer anbringen.

Im Schulhof standen Lehrerinnen und Schüler stramm

unter der Hakenkreuzfahne zum Naziprogramm!

Alle haben die Arme nach oben geschwungen

und das Lied „Die Fahne hoch“ gesungen.

 

Verboten wurde das Schulgebet, doch das hat nicht funktioniert,

ein paar Ministranten haben das Verbot boykottiert.

Ein halbes Jahr waren wir mit den Buben zusammen,

wobei wir so manchen Rempler abbekamen.

Vom Umgang mit „Damen“ wollten die nichts wissen

und haben uns auf dem Heimweg tüchtig mit Schneebällen beschmissen.

 

Im Klassenzimmer ging es am Montag früh auf ganz wild.

Oft war die Lehrerin nicht da, wir vor Freude gebrüllt.

Verspätung hatte ihr Zug, oft ein paar Stunden,

so etwas haben wir toll gefunden.

Wir hofften, dass sie nicht kommt bis um Zehn,

denn dann durften wir nachhause geh‘n.

1945 gab‘s auch oft Fliegeralarm,

worüber wir nicht unglücklich war’n.

Bis wir alle das Klassenzimmer geräumt,

war eine Deutschstunde schnell versäumt.

 

In der Handarbeitsstunde konnten wir unser Fräulein in Verlegenheit bringen,

sie hatte keine Ahnung vom Stricken und ähnlichen Dingen.

Eine Ferse zu beginnen, ist ihr nie geglückt,

sie hat uns mit dem Socken zur Hausmeisterin geschickt.

Ein Jahr später hatten wir die Schwester „Digmund“ - sie war ein Genie,

sie lernte uns das Stricken und verlor die Geduld fast nie.

Unseren ungeschickten Fingern hat sie beigebracht,

wie man aus Wollresten einen Topflappen macht.

 

Hab ich auch beim Hohlsaum und Knopflöchernähen geschwitzt,

sie gab nicht auf, bis alles sitzt.

Als bei meinen Buben geflickte Jeans Mode waren,

erinnerte ich mich an die Methode, die mir die Schwester beigebracht vor vielen Jahren,

als noch Flecken eingesetzt wurden, um Geld zu sparen.

Mit Hingabe hat sie uns Mädchen acht Jahre betreut,

dafür möchte ich ihr schon mal danken heut.

Wichtiger war in meinem Leben, dass ich einen Socken stopfen kann,

als zu wissen, wann in der Geschichte so ein verdammter Krieg begann.

 

In ihrer- Handarbeitsstunde ist stets der gleiche Ritus gewesen,

wir Mädchen betteln: „Schwester, dürfen wir bitte eine Geschichte vorlesen,

wir wollten doch wissen, wie es im Buch Heidi weitergeht.

Doch erst kam eine Ermahnung zum Stoßgebet.

Schnell hat eine jede ihr Gebet aufgesagt,

dann haben wir nochmals dieselbe Bitte gewagt.

Nur Geduld, wir mussten noch ein Marienlied singen,

bis wir endlich mit dem Vorlesen anfingen.

 

1945, nachdem der Ami im April einmarschiert,

ist in der Schule ein halbes Jahr gar nichts passiert,

sie wollten Lehrer ohne braune Vergangenheit.

Und diese Suche dauerte seine Zeit.

Unbelastet waren da die Klosterfrauen,

ihnen tat uns der Ami im Herbst anvertrauen.

Stellt euch vor, Ferien ein halbes Jahr,

ich wusste gar nicht mehr, wo meine Schultasche war.

 

Ob Regen oder Sonnenschein, auch an zwei Nachmittagen mussten wir rein.

Und damit kein Übermut aufkam, nahmen sie uns auch noch samstags ran.

Als der große Bruder regierte, der überm Teich,

sollten wir englisch lernen, am besten gleich.

Ein Kurs war schnell unter Dach und Fach,

die Teilnahme war freiwillig an einem Nachmittag.

Statt Vokabeln zu lernen, bin ich lieber draußen rumgetollt,

nichtsahnend, dass auf Deutschland 50 Jahre später eine Englischlawine zurollt.

 

Nach dem Krieg war in allen Schulzimmern ein Gedränge,

da saßen jetzt Flüchtlingskinder - jede Menge.

Drei Klassen hatten Unterricht in einem Raum,

blickt man heute zurück, man glaubt es kaum.

Die Schwester Pudentiana hat das trotzdem geschafft,

ich bewundere noch heute ihre Schaffenskraft.

 

Der Krieg war aus, aber uns knurrte der Magen,

wir schoben Kohldampf, nicht zum Sagen.

In der ersten Schulstunde hab ich schon mein Brot verdrückt,

heimlich gekaut, zum Abbeißen unter die Bank gebückt.

Von den Bauernkindern, die reichlich mit Brot eingedeckt,

haben wir in der Pause gebettelt - es hat wunderbar geschmeckt.

Die Philomena stammte aus einer Bäckerei,

wo die stand, war das größte Geschrei.

„Lass mich mal beißen“, rufen wir durcheinand',

so ausgehungert waren wir, eine wahre Schand‘.

Erst als die Kleider an uns hingen wie an Bohnenstangen,

hat der Ami endlich mit der Schulspeisung angefangen.

Jeden Tag, wenn die Pause begann,

rückte der Gregers Fritz mit großen Kesseln an.

Wir standen Schlange mit Riesenappetit,

Topf und Löffel hatte jedes Kind mit.

Aufgepäppelt hat man uns mit allerlei,

ob Gulasch, Grieß oder Haferbrei.

Samstags war immer der größte Radau,

da gab‘s eine frische Semmel und einen Becher Kakao.

Die Bauernkinder waren Gruppe drei

und bei der Schulspeisung nicht dabei.

Nach ein paar Wochen waren wir so schlau,

wir tauschten mit ihnen, Wurstbrot gegen Kakao.

 

Manchmal ist es auch passiert,

dass der Koch nicht fleißig gerührt.

Der Grießbrei schmeckte furchtbar, er war angebrannt.

Mit unseren Töpfen sind wir gerannt,

Richtung Abort oder zum Kösseinebach,

doch da stieg uns die Schwester bald aufs Dach.

 

Beim Wäsche fleihen hatte die Küchenschwester entdeckt,

was uns Gören nicht geschmeckt.

Ab dem Tag kein Kind mehr ein Schlupfloch fand,

weil an jeder Tür eine Schwester stand,

die, wie der Erzengel im Paradies,

kein Kind mehr durch das Schlupfloch ließ.

 

So begehrt im Sommer die Fensterplätze waren,

im Winter war‘s dort kalt, man musste Kohlen sparen.

Ein kleiner Kanonenofen sollte ein ganzes Klassenzimmer heizen,

mit Kohlen musste die Schwester geizen.

Ein Kübel musste für den ganzen Tag reichen,

auch durch Jammern konnten wir sie nicht erweichen.

 

Wie beim Zauberlehrling warteten wir,

bis die Schwester Pudentiana mal ging vor die Tür.

Blitzschnell warf ein Mädchen, ein Brikett in die Glut,

dazu gehörte schon etwas Mut.

Immer hat es die Schwester gemerkt, wenn sie wiederkam,

wie, das blieb uns ein Rätsel, viele Winter lang.

 

So rückten wir jedes Jahr eine Klasse weiter,

wir haben gebüffelt, wurden laufend gescheiter.

Satzaussage und Satzgegenstand,

es wurde gesucht, bis er sich fand.

Die Geschichte mit den vielen Jahreszahlen,

bereitete so manche Qualen.

Taschenrechner kannten wir nur vom Hörensagen,

und so übten wir, ohne zu klagen,

bis die letzte Schülerin kennt,

wie viel Geld sind 3 %.

Niemals gab es Langeweile,

wir teilten Brüche in winzige Teile.

bis 10 Stellen hinterm Komma haben wir die Zinsen gefunden.

Nur um am Ende alles wieder aufzurunden!

Berechnet die Fläche von Pyramide und Kreis,

ich dachte oft, was soll der Sch . . . ?

 

Höhepunkt für uns alle war einmal im Jahr,

wenn unser Ausflug fällig war.

Es ging nicht zur Walhalla oder zum Nürnberger Zoo,

wir Waldershofer Kinder waren schon froh,

durften wir die Kösseine oder den Ochsenkopf erklimmen.

Wir wanderten gerne, fremd war für uns das Wort „trimmen“.

Die Treppen im Asenturm, wir freudig hochgehen,

begierig einmal was von der Welt zu sehen.

Doch droben böse Kräfte walten,

jedes Kind muss sich hinknien und wird von der Schwester am Rock festgehalten.

Auf dem Turm war kein Geländer, das hätte uns nicht gejuckt,                                                                 

darum wurden wir nach einem kurzen Rundblick,

wieder nach unten geduckt.

Wir haben zwar gemurrt, aber heute kann ich versteh‘n,

die Schwester konnte kein Risiko eingeh‘n.

Wollte sie uns alle wieder heil nachhause bringen,

musste sie streng sein in solchen Dingen.

 

SPORT - heute ein beliebtes Unterrichtsfach, fiel bei uns im Winter flach.

Im Sommer, falls das Wetter schön,

durften wir in den Schulhof geh‘n.

Weil die Schule keinerlei Turngeräte besaß,

übten wir Reigentanz ohne Unterlass.

Im Walzerschritt ging‘s 1, 2, 3,

die Weinzierl Hilde war mit ihrer Quetschen dabei.

Bei gutem Benehmen von Fall zu Fall,

spielten wir zum Abschluss noch Völkerball.

 

Zum Hammerrang zogen wir einmal im Jahr,

wo für Buben und Mädchen Sportfest war.

Wettlauf, Werfen und Weitspringen

wollten nicht so recht gelingen.

Ungeübt, weil nie trainiert,

haben wir uns, statt zu siegen, nur blamiert.

Dabei hatten wir Mädchen einen schicken Sportdress,

es waren keine Turnhosen, modisch und kess.

Nein, Sommerröcke wadenlang,

hinderten uns, ob man lief oder sprang.

Dass man so keinen Ehrgeiz weckt,

verborgene Talente nicht entdeckt

war sogar mir mit 14 Jahren klar.

Nun wisst ihr, warum ich keine Sportskanone war.

 

Beim Wettrennen steckten unsere Füße nicht in Adidas,

ob geteert, ob Kies, ob Gras,

barfuß liefen im Sommer die meisten Kinder,

man hatte nur ein Paar Schuhe und die waren für den Winter.

Manche Kinder hatten nur ein Unterhemd,

dafür waren uns folgende Wörter fremd:

Schulstress, Vokabeln, Adjektiv,

bei uns alles ohne Druck ablief.

Zeigte ich mein Zeugnis zuhause dem Vater,

machte der wegen Noten kein Theater.

Manchmal tun mir heute die Kinder leid,

ich glaube wir hatten trotz allem eine schöne Schulzeit!

 

War unsere Schule auch kein moderner Bau,

mit Chemieraum und Automaten für Limo und Kakao,

mit Computer und elektrischen Schreibmaschinen

und Putzfrauen, die täglich alles wienern,

mit Lichtschranken im Pissoir,

wo das Wasser läuft, wenn einer war.

Bei uns gab‘s noch Plumps-Klo und Zeitungspapier,

ich hab es überlebt, sonst wär ich nicht hier.

 

Wir schafften das Kunststück und haben uns trotzdem vermehrt.

Mit Dank seien noch Lehrkräfte und Geistlichkeit bedacht,

sie haben aus uns halbwegs brauchbare Menschen gemacht.

Lernen musste ich zwar noch manches im Leben,

denn nur den Göttern wird's im Schlaf gegeben.

Ich denk gern an meine Kindheit, trotz Krieg und Not,

und habe noch nie weggeworfen ein Stück Brot!

 

Elfriede Haensel



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